Der Freibeuter. by Conrad Joseph

Der Freibeuter. by Conrad Joseph

Autor:Conrad, Joseph [Conrad, Joseph]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: England, Literatur
ISBN: 9783100113160
Google: bb0BAQAACAAJ
Amazon: 3100113160
Herausgeber: Fischer
veröffentlicht: 1983-01-01T23:00:00+00:00


Joseph Conrad – Der Freibeuter

ausgetretenen Weg von Escampobar zum Dorf in der Senke hinabeilte; eben jenen Weg, den der Bürger Scevola, als er der befremdlichen Neigung nachgab, die Kirche zu besuchen, von den aufs äußerste gereizten Gläubigen hinaufgejagt worden war. Peyrol jedoch hielt den Blick stur auf Kap Esterel gerichtet, während er die Pfeife stopfte und anrauchte. Dann warf er den Arm zärtlich um die Kiefer und richtete sich auf längeres Warten ein. Die Reede tief unter ihm, auf der graue Schatten und blinkende Lichter spielten, glich einem Medaillon aus Perlmutter in einer Fassung von gelben Felsen und dunkelgrünen Schluchten vor einer Kulisse massiger, zu feinstem Purpur gefärbter Berge, während über ihm, hinter einem Schleier aus Wolken, die Sonne wie eine silberne Scheibe hing.

Nachdem sie an jenem Nachmittag vergeblich darauf gewartet hatte, daß Leutnant Réal wie gewöhnlich im Freien erscheine, war Arlette, die patronne von Escampobar, lustlos in die Küche gegangen, wo Catherine aufrecht in einem schweren breiten Armstuhl saß, dessen Lehne über ihr Häubchen aus weißem Musselin hinausragte. Noch in ihrem hohen Alter und selbst in müßigen Stunden befleißigte Catherine sich der aufrechten Haltung, die in der Familie üblich war, welche Escampobar so viele Generationen hindurch besessen. Man hätte ohne weiteres geglaubt, daß Catherine, gleich etlichen weltberühmten Persönlichkeiten, den Wunsch hatte, im Stehen und mit ungebeugtem Nacken zu sterben.

Mit unvermindert feinem Gehör hatte sie die Schritte in der salle längst wahrgenommen, ehe Arlette die Küche betrat. Diese Frau, die allein und ohne Hilfe (abgesehen von dem verständnisvollen Schweigen des Bruders) die Qual einer verbotenen Leidenschaft durchlebt und Schrecken ertragen hatte, die sich mit denen des Jüngsten Gerichts vergleichen lassen, wandte ihrer Nichte weder das stille, doch nicht heitere Gesicht noch die furchtlosen Augen zu, in denen es nicht mehr funkelte.

Ehe sich Arlette setzte und die Ellenbogen auf die Tischplatte stützte, ließ sie die Blicke über die Wände wandern, ja sie musterte sogar das Häufchen Asche in dem mächtigen Kamin, das noch einen Funken Feuer in seinem Inneren nährte.

»Du wanderst umher wie eine gepeinigte Seele«, sagte die Tante, die am Kamin saß wie eine alte Königin auf ihrem Thron.

»Und du sitzt hier und grämst dich zu Tode.«

»Früher«, bemerkte Catherine, »konnten alte Frauen wie ich jederzeit ihre Gebete sprechen, aber jetzt

. . .«

»Mir ist so, als wärest du seit vielen Jahren nicht zur Kirche gegangen. Jedenfalls erinnere ich mich, daß Scevola das vor langer Zeit behauptet hat. Ist es darum, weil du die Augen der Leute nicht ertragen kannst?

Manchmal habe ich mir eingebildet, daß die Mehrzahl der Erdbewohner längst massakriert worden ist.«

Catherine wandte das Gesicht weg. Arlette stützte den Kopf mit der halbgeschlossenen Faust, und die Augen, die den steten Blick verloren hatten, begannen wieder unter dem Andrang grausiger Visionen abzuirren. Sie erhob sich unvermittelt, liebkoste die hagere, halb weggewandte, verrunzelte Wange mit den Fingerspitzen und sagte schmeichelnd und leise in jenem wunderbaren Ton, der das Herz anrührte:

»Das waren doch Träume, nicht wahr?«

Die reglos dasitzende alte Frau sehnte mit aller Kraft Peyrols Gegenwart herbei. Sie hatte es nie fertigbekommen, die abergläubische



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